Liebe Angegriffene, Betroffene und Leser,
Ich sehe in letzter Zeit notgedrungen eine Vielzahl von Videos, die Polizeigewalt darstellen. Besonders stechen diejenigen hervor, die vermeintlich schwere Straftaten darstellen. Ihre Überschriften sind reißerisch gewählt, etwa Tritt in Rücken und Bauch friedlicher Demonstranten. Das Wichtigste bei der Rezeption solcher Meldungen ist, den Kontext zu betrachten: Wer schreibt? Warum wird geschrieben? Stimmen Form und Inhalt?
Das Beispielvideo zeigt vermutlich eine Demonstration in Bautzen am 29.12.2021. Es galt folglich ein Versammlungsverbot, um die Ansteckungsgefahr mit Corona zu verringern. Das war keine Willkürmaßnahme, d.h. es gab kein generelles Versammlungsverbot. Es traf auch alle und nicht nur Gruppen oder Gemeinschaften. Zudem sind viele Ausnahmen, Randbedingungen und Fußnoten mit dem Verbot verbunden. Wieviele Personen genau an der unrechtmäßigen Demonstration beteiligt sind, ist nicht genau zu erkennen. Es sind aber deutlich mehr als 10 und evtl. weniger als 1000. 4 Polizisten werden in der ersten Einstellung gezeigt, die von hinten, laut rufend, auf die Demonstranten zugehen. Sie rennen nicht, sie gehen. Sie kommen auch nicht aus einer Deckung gesprungen. Links und rechts des Demonstrationszuges stehen weitere Polizisten, teilweise in großen Gruppen zu 5 und mehr. Weitere Einsatzfahrzeuge sind zu sehen, teilweise mit eingeschaltetem Blaulicht.
Die Kräfteverhältnisse lassen sich daraus knapp schließen. Die rechtlichen Umstände sind auch nicht wegzudiskutieren. Stünden mehrere Gruppen zu je 10 Personen mit reichlich Abstand auf einem prominenten Platz, würden die Einsatzkräfte nicht einschreiten. Den Randbedingungen des demokratisch gewählten Landesparlamentes wäre entsprochen worden. Dafür gäbe es Organisatoren, die sich darum kümmern.
Daher vermute ich eine Ausrichtung der Veranstaltung auf Konfrontation, um später mit dem Finger bspw. auf Maßnahmen der Einsatzkräfte zeigen zu können. Allen Beteiligten ist daher klar, es kommt zur Durchsetzung des Rechts. Für mich persönlich ist diese Veranstaltung eine Inszenierung. Damit ist jeder legitime Anspruch, eine friedliche Demonstration durchzuführen, nicht mehr gegeben. Soetwas gab es tatsächlich im Dritten Reich. Ein gewisser Roland Freisler ließ Angeklagten u.a. vor der Verhandlung Gürtel und Hostenträger wegnehmen. In der Folge ließ sich trefflich auf den Betroffenen schimpfen, was er denn fortlaufend an seiner Hoste nestele. Aktuellere Inszenierungen spielen sich in Honkong oder der Türkei ab. Journalisten die recherchieren, wer tatsächliche Willkür ausübt oder als Nato-Mitglied unerlaubt Waffen liefert, sitzen ohne Anklage auf unbestimmte Zeit im Gefängnis oder werden mit einem Berufsverbot belegt.
Schließlich kommt es, wie es gewollt war: das Video landet im Internet und wird wie gewünscht kommentiert. Es wird von Nazi-Methoden geschrieben. Vergleiche werden gezogen, das wäre wie 1933. Ich kann all jenen nur die einschlägige Literatur ans Herz legen, darunter auch Werke wie Furchtbare Juristen von Ingo Müller, aus dem Jahre 1987. Er fasst die juristische Aufarbeitung des Dritten Reiches neutral und aus Aktenlage kritisch zusammen. Er zitiert aus Protokollen, da wird die Wohnungstür eingetreten, bewaffnete Uniformierte dringen in die Wohnung ein, zerren einzelne oder alle Personen auf die Straße, verladen sie auf LKW oder erschießen sie gleich vor Ort. Selbst jugendliche Straftäter werden für Bagetelldelikte wie Diebstahl eines Brotlaibes erschossen – Schädigung des Volkskörpers. Es gibt die Straftatbestände der Schädigung des Volkskörpers, Volksgenossen werden zur Denunziation ermutigt und die öffentliche Aufführung und Übertragung amerikanischer und englischer Musik wird verboten.
Ich finde es bezeichnend für alle, die sich mit den verwirrenden Methoden der Neuen Rechten und verirrten Einzeltäter gemein machen. Denn zur Medienrezeption gehören auch Hintergrundwissen, kritisches Hinterfragen, Literaturstudium und in der Folge eine eigene, fundierte Meinung. Wer nur der lautesten Gruppe geschichtsvergessen hinterherläuft, der steht schon im Abseits. Es geht nicht mehr um Dialog oder Diskussion. Die Konfrontation steht im Vordergrund, die Lust an der Entrüstung. Widerstandskämpfer in schweren Zeiten, gleich ob Spaniens Franco, die Roten Khmer Kambodschas, Stalins Säuberungen oder die weltliche Unruhe am Platz des Himmlischen Friedens, wurden nicht während ihrer Demonstrationen von Polizisten auf der Grundlage unmittelbaren Zwanges des Platzes verwiesen.
Es lenkt aber auch wunderbar von den eigentlichen Hintergründen ab. Schließlich sind bad news […] good news. Und weil man sich über die Sachsen das Maul zerreißt, was auch nur Lust an der Entrüstung ist, können die Folgen des Krankenversicherungs-Modernisierungs-Gesetz schön ausklingen. Die Regierung Schröder brachte es 2004 auf den Weg. Heute – weil auch jeder brav bei großen ausländischen Versandhäusern Elektronik ordert – kann Amazon Care nicht nur Krankenhäuser, sondern auch Labore, Wartungsfirmen und Wäschereien aufkaufen. Besser kann es nicht laufen. Den Betreibern von RePorter und deren Brüdern im Geiste kann ich nur raten, sich zu bevorraten und Fähigkeiten wie medizinische Selbstversorgung zu üben und zu entwickeln. Ihr leistet selbst brav einen Beitrag für ein wie auch immer geartetes die da oben.
Abschließend könnte ich endlos auflisten, wofür wirklich sinnvoll demonstriert wird und wurde. Wo Polizeigewalt wirklich vollkommen überzogen und aus heutiger Sicht unangebracht war. Dem geneigten Leser sei das Quellenstudium hier nahegelegt. Mag jeder selbst seine Schlüsse daraus ziehen. Den wirklich mutigen unter den Lesern seien Reiseziele wie Nordkorea, das ländliche Kasachstan oder der Iran ans Herz gelegt. Man wird als Tourist aus den kritischen Fragen des Alltagslebens dort einfach rausgehalten. Und der Bevölkerungsteil, der sich verplappert erlebt wirklich staatliche Willkür.